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Denken wir Christen auch an andere?

SUSANN PRAUTSCH

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Dezember feiern die meisten Deutschen Heilig Abend, das Fest der Liebe und der Familie. Verändert die Not der vielen Flüchtlinge im Land das Fest? Die Flucht hat Familien auseinandergerissen, die Sorgen um die in der Heimat Zurückgebliebene müssen fürchterlich sein. Feiern die Deutschen in diesem Jahr anders?
Wer bei Ehrenamtlichen, Pfarrern, Bürgermeistern, Caritas-Mitarbeitern und anderen nachfragt, bekommt fast überall dieselbe Antwort: „Wir hocken nur noch am Telefon.“ Am anderen Ende der Leitung ist meist jemand dran, der sich erkundigt, was er an Weihnachten oder in der Adventszeit für die Flüchtlinge tun kann. So viele haben das Bedürfnis, etwas zu tun, Solche Angebote sind meist ein Kompromiss. Denn als Zeichen der Solidarität wollen zwar viele Deutsche zusammen mit den Flüchtlingen Weihnachten feiern aber sie wollen gleichzeitig, dass sich an ihrem persönlichen Weihnachtsfest nichts ändert, dass die liebgewonnenen Rituale bestehen bleiben. Zusammen feiern heißt deshalb für die meisten nicht unbedingt an Heiligabend Flüchtlinge zu sich nach Hause einzuladen. Denn das würde die heimischen Rituale wohl gehörig durcheinanderwirbeln. Das bräuchte ziemlich viel Mut und es würde bedeuten, jemand Fremden in die eigene Wohnung zu lassen. Ein Pfarrer aus einer sächsischen Kleinstadt sagt: „Es ist ja schon doll, wenn die Leute im Ort mich in ihre Wohnung lassen. Was glauben Sie, wie oft ich vor verschlossenen Türen stehe? Obwohl alle mich kennen und ich meine Hausbesuche jedes Mal anmelde?“ Aber die Leute, auch wenn sie in mancher Hinsicht verschlossen sind, meint er seufzend, bedeutet dies nicht, dass sie kein Mitgefühl haben, sie könnten angesichts der vielen Menschen in Not eben auch nicht Nichts tun. Der Pfarrer hat jetzt einen Kompromiss gefunden zwischen dem Bedürfnis, sich solidarisch zu zeigen, und dem Bedürfnis, unter sich zu bleiben und alles beim Alten zu lassen: Er lagert das Weihnachtsfest, das die Einheimischen zusammen mit den Flüchtlingen feiern, ganz einfach aus - aus den eigenen vier Wänden ins Begegnungszentrum; aus der heiligen Zeit in die Abendstunden des 16. Dezembers. „Es gibt Stollen und Kaffee, wir machen es uns gemütlich, singen, und ich lese die Weihnachtsgeschichte vor, einmal auf Deutsch, einmal auf Englisch.“
Es kostet Überwindung
Die Deutschen mit Willen zur Solidarität feiern in diesem Jahr also nicht anders, aber sie feiern doppelt. Einmal wie gewohnt an Heiligabend und einmal ein paar Tage vor Heiligabend, meistens in einer Flüchtlingsunterkunft, wo sie zusammen mit den Flüchtlingen kochen, essen, musizieren und traditionelle Volkstänze tanzen. Oder in einem Gemeindehaus, wo alle zusammen Plätzchen backen und Punsch trinken und dem Diakon lauschen, der für die muslimischen Gäste einen Vortrag hält über christliche Weihnachtsbräuche. Oder im Festsaal eines Rathauses, wo ein Weihnachtsmann auf der Bühne steht und Flüchtlingskindern Geschenke überreicht, während die Eltern der Kinder und die Spender der Geschenke gerührt zuschauen. Um nur die drei in Deutschland beliebtesten Möglichkeiten zu nennen, mit Flüchtlingen Weihnachten zu feiern.

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